Hintergrund

Bach als Prediger in Tönen

Am 2. April führen die Windsbacher in der Nürnberger Friedenskirche die Johannespassion von Johann Sebastian Bach auf. Dabei wird der bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm eine Predigt halten, wie es damals üblich war.

Ihre Uraufführung erfährt die Johannespassion von Johann Sebastian Bach am Karfreitag des Jahres 1724 in der Leipziger Nikolaikirche – ein Novum vor Ort, gilt der Rat der Stadt seinerzeit in stilistischen Belangen doch als eher konservativ. Nun erfreuen sich Oratorien mit Hang zum Opernhaften beim Publikum jedoch immer größerer Beliebtheit. Hamburg ist hier das Zentrum, wo die Aufführung von Passionsoratorien bereits die Regel sind. Bach musiziert die Johannespassion ein Jahr nach seinem Amtsantritt als Thomaskantor. Es ist sein erstes größer angelegtes Werk und Oratorium. Der Geistlichkeit und den Bürgern in Leipzig hat er sich zuvor selbstbewusst als „Prediger in Tönen“ vorgestellt.

Bach verfolgt mit seiner Johannespassion 1724 ganz offenbar eine Vision: Die damalige Gemeinde soll das Geschehen bewusst miterleben, es in den Chorälen, die damals mitgesungen werden, kommentieren und über die in den Arien geäußerten Empfindungen nachdenken. Erstmals gibt es hierfür Textbücher. Das Passionsoratorium will also eine neue Form der Vermittlung von Glaubensinhalten sein. Zudem hat die Musik einen bis dato unbekannten Erlebnischarakter. Allein wie das Volk die Kreuzigung fordert, ist hochdramatisch. Der Bach-Forscher Martin Beck betont: „Von ihrer historischen und ästhetischen Bedeutung her gesehen schlägt die Johannespassion wie ein Komet ein.“

Passion als Teil des Gottesdienstes

Damals hört man solche Musik jedoch nicht als Konzert: Sie erklingt als Teil der Liturgie des Vespergottesdienstes an Karfreitag vor und nach der Predigt. Diese Tradition greift der Windsbacher Knabenchor mit seiner heutigen Darbietung auf: Zwischen den beiden Teilen der Johannespassion spricht der bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm. Im Mittelpunkt stehen also nicht nur die verschiedenen musikalischen Formen Arie und Choral, sondern auch das gesprochene Wort. Somit ist der Hörer an diesem Abend viel näher an der historischen Bedeutung eines Passionsoratoriums, als er es in einer rein konzertanten Aufführung sein könnte.

Nach Martin Luther ist der Gottesdienst – notabene Hauptbereich von Bachs beruflichem Wirken als Thomaskantor – ein Wort-Antwort-Geschehen, in dem „unser lieber Herr selbst mit uns rede durch sein heiliges Wort und wir wiederum mit ihm reden durch Gebet und Lobgesang“. Die Johannespassion reagiert demnach mit dem gesungenen unmittelbar auf das gesprochene Wort des Evangeliums und die Aufführenden vertreten als Teil der Gemeinde diese im Lob- und Dankopfer mit Musik von höchstem Kunstrang.

War es früher üblich, den Text für ein solches Werk aus den vier Evangelien zu bilden, beschränkt sich Bach (mit zwei Anleihen bei Matthäus) auf das Johannesevangelium. Der Aufbau entspricht jedoch dem gängigen Typus: Nach einem Eingangschor setzt die Handlung mit der Gefangennahme Jesu und der Verleumdung durch Petrus ein. Fünf Szenen werden dargestellt: Hortus (Garten), Pontifices (Hohepriester), Pilatus (Verhör), Crux (Kreuzigung) und Sepulcrum (Begräbnis). Arien und vor allem die Choräle reflektieren das vom Evangelisten geschilderte Passionsgeschehen und verweisen auf seine Bedeutung für die christliche Gemeinde.

Wichtige Rollen für den Chor

Die Choräle am Ende der Szene enthalten dabei jeweils einen Stichwort-Anschluss. So folgt beispielsweise auf die Frage Jesu an den Diener des Hohenpriesters „Was schlägest Du mich?“ die Choralzeile „Wer hat Dich so geschlagen“ und in der zweiten Strophe die Antwort „Ich, ich und meine Sünden“. Jede der Choralstrophen bildet inhaltlich und musikalisch einen Ruhepunkt, an dem der Hörer das soeben Erlebte reflektieren kann: intelligent kommentierend und aufrichtig Anteil nehmend. Das unterstreicht auch den Gebetscharakter dieser Partien.

Dem Chor hat Bach eine weitere wichtige Rolle zugedacht: die Verkörperung der wütenden Masse. Diese Chöre verdeutlichen den Gegensatz zwischen der aufgebrachten Menge und der Einsamkeit Jesu und fügen dem eher nüchternen Stil des Johannesevangeliums mit drastisch auskomponierten Passagen eine dramatische Ebene hinzu. Die Menge gerät zunehmend außer sich, spottet, verhöhnt Jesus und fordert seine Kreuzigung. Kein anderer Komponist seiner Zeit hat derart gewagte Chromatik benutzt, um die Handlung geradezu physisch spürbar werden zu lassen.

Durchdachtes Formkonzept

Neben der ergreifenden Musik besticht in der Johannespassion jedoch auch ein geniales Formkonzept. So bildet der Choral „Durch Dein Gefängnis, Gottes Sohn, muss uns die Freiheit kommen“ nicht nur den Kern der Aussage der christlichen Botschaft, sondern auch die Achse, um die herum Bach symmetrisch Chorszenen und Choräle gleicher oder ähnlicher musikalischer Gestalt angeordnet hat. Der zentrale Choral setzt inmitten der dramatischen Gerichtsszene eine entscheidende Zäsur, denn bis dahin ist Pilatus geneigt, Jesus die Freiheit zu schenken; doch nun beugt er sich aus Kalkül dem Drängen des Volkes. Dreh- und Angelpunkt ist für Bach jedoch nicht die Kreuzigung Jesu, sondern seine Verlassenheit. Das Werk schließt daher nicht mit der Grablegung, sondern endet in einem wunderbar entrückten Choral mit der Bitte „Ach Herr, lass Dein lieb Engelein“ und dem Bekenntnis „Ich will Dich preisen ewiglich“.

Karten für das Konzert am 2. April um 18 Uhr gibt es hier.