Hintergrund

Unsere Königin trägt Rollschuhe

Die Renovierung des Chorzentrums brachte es mit sich, dass der Große Chorsaal auch eine neue Orgel bekam. Und die ist ja aktuell „Instrument des Jahres“.

Für das Jahr 2021 haben die Deutschen Landesmusikräte die Orgel zum „Instrument des Jahres“ gekürt. Die Aktion soll das jeweilige Mitglied der großen Klangfamilie für zwölf Monate in den Fokus stellen, um ihm eine größere Aufmerksamkeit als sonst zu bescheren.

Auch im Windsbacher Chorsaal steht eine Orgel: eine „Unico 400“ aus dem Hause Viscount. Statt eines Orgelprospekts mit Pfeifenwerk wird hier der Klang via Rechner erzeugt und tönt aus acht hochwertigen Boxen, die sich hinter weißen Kunststoffmembranen an der Wand verbergen. Dabei hat die Orgel weitaus „mehr drauf“ als ihre Vorgängerin. Zum Beispiel „trägt sie Rollschuhe“: Der Spieltisch kann also bei Bedarf auf Rollen flexibel durch den Saal gefahren werden.

56 klingende Register

Rein äußerlich unterschiedet den Spieltisch nichts von anderen Instrumenten: Die Chorsaalorgel verfügt über drei Manuale, Pedale, 56 klingende Register und diverse nicht klingende Register (wie beispielsweise Koppelregister und Tremulanten), zwei Schweller und ein Walzenpedal. Die einzelnen Register können per Wippschalter aktiviert werden. Und irgendwie erinnert das Ganze, wie bei großen Kirchenorgeln üblich, an ein Flugzeugcockpit. Das Pedal ist geschweift, verläuft also nicht eben, sondern rechts und links leicht ansteigend, was dem Organisten das Spiel mit den Füßen erleichtert. Mit den 56 Registern können alle möglichen Klangfarben der Orgel abgebildet werden. Und sie hat „mächtig Wumms“ in den Tiefen, so dass man die Töne geradezu physisch spüren kann. Auf den Wippschaltern stehen Prinzipal, Hochflöte, Gedackt, Gamba, Oktave, Quinte – die „üblichen Verdächtigen“ eben. Wie bei einem Synthesizer könnte man auch sieben „Instrumente spielen“, darunter Geige, Harfe, Cembalo oder Cello. Doch diese „Register“ sind eigentlich eher Gimmicks.

Denn die Vorzüge der Chorsaalorgel liegen eindeutig in ihrer Flexibilität: Auf ihr sind möglichst viele Klangwelten darstellbar, was für den Chor von großem Nutzen ist. Sollen die Jungs in einem Konzert beispielsweise gemeinsam mit der Orgel musizieren, kann man ihn durch die klanglichen Möglichkeiten des neuen Instruments ganz individuell darauf vorbereiten: Steht in einer Kirche ein barockes Instrument und in einer anderen ein romantisches, kann das hier jetzt recht genau abgebildet werden. Die Orgel verfügt auch über historische Intonationen in 415, 440 und 465 Hz sowie historische Stimmungen (Silbermann, Kirnberger, Valotti und mitteltönig). Darüber hinaus sind leichte Intonationsveränderungen beispielsweise für Violinen und Flöten möglich.

Ausgeklügelte Technik

Dank ausgeklügelter Technik kann man sogar den Luftstrom imitieren und somit den Klang mit entsprechenden Nebengeräuschen anreichern. Der Fachmann spricht hier von der Windstößigkeit einer Orgel, von ruhigem und bewegtem Wind. Natürlich würde man im direkten Vergleich die Unterschiede zu einer Pfeifenorgel hören, deren Tragfähigkeit einfach größer ist – und auch optisch macht ein Instrument mit einem mächtigen Prospekt wie beispielsweise die größte Domorgel der Welt in Passau mit ihren 17.974 Pfeifen und 233 Registern mehr her. Aber in Windsbach hat die Chorsaalorgel ja auch ganz andere Aufgaben. Hier erhalten Schülern Unterricht, die Orgel erklingt in den Chorandachten und kommt auch als Repetitionsinstrument zum Einsatz. Dafür eignet sie sich übrigens sehr viel besser als der Konzertflügel: Bei ihm verklingt der angeschlagene Ton rasch, die Orgel indes hält ihn – theoretisch noch länger als beim berühmten John Cage-Stück, das in Halberstadt ja auf 639 Jahre angelegt ist. Der Chor kann den steten Klang somit als Intonationsträger und Referenzpunkt nutzen, was Stützräder bei einem Fahrrad gleich irgendwann „abmontiert“ werden oder eben immer leiser werden kann. Wie ein Klavier kann man an der Chorsaalorgel die Tasten aber auch dynamisch anschlagen.

So nutzt die Orgel der Chorarbeit in Windsbach, was einen echten Gewinn darstellt. Wie übrigens das technische Equipment, mit dem die „Unico 400“ ausgestattet ist: Eine Setzeranlage ermöglicht in zwölf einzelnen Stufen à zehn Kombinationen das Abspeichern von 120 Register-Verknüpfungen, was den hin- und herspringenden Registranten unnötig macht. Die einzelnen Kombinationen können per Handknopf oder Fußschalter aktiviert werden. Jedes Manual ist dabei einzeln programmierbar. Die Register wurden bei diesem Instrument übrigens nicht gesampelt, also von einer Orgel abgehört und abgespeichert, sondern individuell programmiert. Der Klang wird also rein berechnet. Aufnehmen kann man das Orgelspiel auf der „Unico 400“ auch, wodurch man Improvisationen archivieren kann.

Übrigens: Wer wissen möchte, was aus der alten Steinmeyer Orgel, die Jahrzehnte lang ihren Dient im Großen Chorsaal getan hat, geworden ist, der kann das hier erfahren.